Gedanken zum Jahresende

Das diesjährige Weihnachtsfest wird vermutlich als eines der seltsamsten in meiner Erinnerung bleiben. Ich selber war verkühlt, Herbert wirklich krank, weshalb ich ihn am Nachmittag des 24. Dezember zu seiner Mutter ins warme Haus „in Pflege gegeben“ und alleine daheim mit den Vierbeinern die Stellung gehalten habe. Am Christtag bin ich dann zeitig in der Früh zu meiner Familie nach OÖ gefahren. Der Besuch war kurz, aber fein, was wiederum für alles entschädigt hat. Dennoch hat man viel Zeit zum Nachdenken, wenn man mehr als vier Stunden allein im Auto über eine erfreulich spärlich frequentierte Autobahn fährt.

Obwohl ich es den Sommer über arbeitstechnisch doch etwas ruhiger angegangen bin, was das Jahr alles andere als erholsam. Und auch die Tatsache, dass schwere Krankheiten und auch ein tragischer, viel zu früher Todesfall unseren Bekannten- und Freundeskreis erschüttert haben, lässt das ausklingende Jahr rückblickend nicht besser erscheinen.

Und dennoch bringt jedes vergangene Jahr neue Erkenntnisse und Einsichten, die ich nicht missen möchte. Generell merke ich, dass sich bei mir immer mehr so etwas wie „Altersmilde“ breit macht. Andere Menschen werden viel weniger be- und verurteilt, stattdessen mit mehr Empathie einfach akzeptiert, was das Leben interessanterweise auch viel stressfreier macht. Auch mit Erwartungen sollte man vorsichtig umgehen, weil sie fast immer in Enttäuschungen münden. Also besser einmal schauen, was kommt, nehmen, was einem entspricht und dann das Beste draus machen.

Auch wird mir die Meinung anderer Leute über meine Person immer weniger wichtig. Ich muss niemand mehr etwas beweisen, bin wie und was ich bin, und wenn jemand damit nicht kann, dann eben nicht. Dazu gesellt sich eine sehr entspannende und entspannte Uneitelkeit, die aus der Erkenntnis entspringt, dass ich nicht zum Schönsein und Jungbleiben in diese Welt gesetzt wurde, sondern um zu lernen und zu erleben. Lebenslang Schüler zu bleiben, ist meines Erachtens keine Schwäche, sondern einer Stärke, die das Leben aufregend und interessant erhält. Es gibt immer jemanden, der etwas besser kann, und es wär doch ziemlich schade, sich gegenseitig in Konkurrenz herunterzumachen, anstatt lieber voneinander zu lernen und jeder auf seine Art noch besser zu werden.

Was mir im Moment große Sorgen macht, sind der zunehmende Hass und schroffe Abschottungstendenzen in unserer Gesellschaft. Wenn in einer globalisierten Welt wie unserer, die vor irrsinnigen, uns alle betreffenden Herausforderungen steht (z.B. Stichwort Klimawandel), jeder Nationalstaat sein eigenes Süppchen kocht und das Spielchen „wir“ gegen „die dort“ spielt, so sehe ich schwarz, dass das Ruder rechtzeitig herumgerissen werden kann. Wir sitzen alle im selben Boot, und ob es uns gefällt oder nicht, werden gerade wir in den westlichen Industriestaaten einen großen Beitrag leisten müssen, indem wir unseren Konsum mäßigen und unseren Lebensstandard materiell nach unten korrigieren. Was aber wohlgemerkt keinen Verlust an Lebensqualität bedeuten muss – im Gegenteil. Wenn wir es richtig angehen, gibt es dadurch wahrscheinlich eine neue Zeitqualität und sozialeres Zusammenleben.

Auch wird es nichts bringen, ganz Europa mit Stacheldraht zu umzäunen um nur ja keine Migranten „herein“ zu lassen. Auch hier muss man ehrlicherweise zugeben, dass wir unseren Reichtum lange Zeit auf Kosten der ärmeren Länder vermehrt haben, deren Bevölkerungen nun teilweise sehr berechtigt die Teilnahme am „guten Leben“ fordern. Mittlerweile geht beispielsweise in erster Linie China im rohstoffreichen Afrika auf „Shoppingtour“ nach seltenen Erden, die zumeist möglichst billig ausgebeutet werden ohne die einheimische Bevölkerung vernünftig partizipieren zu lassen und vielfach auch ohne die verheerenden Umweltschäden zumindest finanziell abzugelten, die angerichtet und einfach zurückgelassen werden. Dafür können wir unseren jährlichen Handy-Modellwechsel sehr billig haben. Und den nicht mehr recyclebaren alten Elektronikschrott verschiffen wir einfach wieder zurück in den Süden – aus den Augen, aus dem Sinn. So wird das halt auf Dauer nicht mehr gut gehen, tut leid.

Und dass wir trotz aller daraus erwachsenden Schwierigkeiten eine moralische Verpflichtung gegenüber den Menschen haben, die vor Krieg und Terror flüchten, stelle ich außer Frage. Dass man die Hilfe und Aufnahme auf europäischer Ebene zugegebenermaßen besser organisieren, kontrollieren und verteilen hätte können und könnte, ist auch klar. Besonders zu Beginn der Flüchtlingswelle, die ja nicht so unerwartet gekommen ist, wie es dargestellt wurde, wurde da viel verspielt, was jetzt wiederum die Stimmung in den Gesellschaften der aufnehmenden Ländern beinahe hat kippen lassen. Das ist wohl jetzt leider nur mehr schwer zu kitten.

Dass die Maxime des permanenten Wachstums in unserer begrenzten Biosphäre ganz einfach ein ziemlich hirnrissiger, nicht nachhaltiger Ansatz ist, der unseren Planeten auf der Überholspur in den Abgrund fährt, sollte mittlerweile jedem halbwegs denkenden Menschen klar geworden sein. Aber die Konsequenzen daraus zu ziehen, ist halt eine ungleich schwierigere, vielleicht schmerzvolle, auf jeden Fall aber unpopuläre Angelegenheit, weshalb auch kein Politiker es wagt, mal gegenzulenken. Schade, aber man kann ja wenigsten vor der eigenen Haustüre kehren, wie es so schön heißt.

Generell hab ich auch das Gefühl, dass in unserem hochanalytischen und bis ins kleinste Detail analysierenden Zeitalter das Gegenteil, nämlich die Synthese, viel zu kurz kommt. Es wird immer weiter ausdifferenziert und spezialisiert – aber wo sind die Allrounder, Universalisten, Querdenker, wenn man sie so nennen will, die das große Ganze im Blick behalten, die gewonnenen Erkenntnisse wieder in Verbindung zueinander setzen und daraus die wirklich großen Lösungen bilden, die die Welt im Moment so dringend braucht? Davon gibt es meines Erachtens viel zu wenige. Das Ganze ist immer mehr als die Summe seiner Teile, wie schon ein altes Sprichwort sagt, und in diesem Sinne lohnt es sich vermutlich für alle, mehr über den Tellerrand des eigenen Wissensgebiets und des eigenen Weltbilds zu blicken.

Was ich mir für’s neue Jahr für mich wünsche, ist noch mehr Gelassenheit und noch mehr Unabhängigkeit. Und für die Welt eine Kehrtwende weg von verantwortungslosen, kurzsichtigen Machtmenschen, wie sie in so vielen Staaten am Ruder sitzen – hin zu integren, langfristig und nachhaltig denkenden Staatenlenkern, die Politik ohne Populismus und mit Vernunft betreiben und auf Kooperation statt Konfrontation setzen. Der Ball liegt in den demokratischen Staaten halt auch bei uns als Staatsbürgern. Wir haben die Wahl, uns gegeneinander ausspielen, von Populisten Angst und Bange machen, uns generell von einem System, das gegen alle unsere wirklichen Bedürfnisse arbeitet, wie Zitronen ausquetschen zu lassen – oder es einfach besser zu machen. Packen wir’s an.