Kaizen im Alltag

Angesichts meiner meist überquellenden, endlos langen Todo-Listen packt mich manchmal schon der Frust. Firma, großes altes Haus, riesiger Garten, Dauer-Baustelle, Weiterbildung, Haustiere … wie ist das alles zu schaffen?
Meinen früher eitel kultivierten Perfektionismus hab ich mir mittlerweile in vielen Bereichen gezwungenermaßen  abgewöhnt. Und dennoch hab ich gerne „meine Schäfchen im Trockenen“.
Letztes Jahr hab ich im Rahmen eines Online-Kurses zum Thema Lean Production das Kaizen-Prinzip kennengelernt, das ich daraufhin sukzessive in meinen Alltag integriert habe. Mit gutem Ergebnis: Es ist schon faszinierend, was man schaffen kann, wenn man – bildlich gesprochen – jeden Tag ein bisschen an der Schraube dreht anstatt den „großen Drill“ länger vor sich herzuschieben.

Kaizen kommt aus dem Japanischen und bedeutet ungefähr „Wandel zum Besseren“ – also das, was bei uns im Management-Jargon unter KVP (kontinuierlicher Verbesserungsprozess) bekannt ist. Im betriebswirtschaftlichen Bereich wird das Prinzip meist qualitätsbezogen verstanden, während es in Japan viel breiter gefasst definiert und auch gelebt wird. Im ständigen Zyklus von Planung, Ausführung, Kontrolle und Verbesserung lassen sich nicht nur Firmenergebnisse verbessern, sondern auch allerlei alltägliche Verrichtungen.

Ein Paradebeispiel dafür ist die leidige Hausarbeit, die mir ehrlich gesagt meistens ziemlich auf den Nerv geht, aber leider doch getan werden muss. In diesem Zusammenhang kennt vermutlich jeder das Gefühl, wenn man vor einem Mords-Saustall, einem Berg Wäsche oder einem Haufen Baustellendreck steht und die Unlust, das zu bereinigen, proportional dazu wächst. Besser also, jeden Tag ein paar Handgriffe erledigen, dann bleibt der Berg überschaubar und damit auch die Motivation im grünen Bereich.  😉

Viele Dinge tut man auch aus Gewohnheit. Beginnt man, sich selber ständig zu hinterfragen („Kontrolle“), so fällt einem oft erst dann auf, wieviele Verrichtungen man effizienter erledigen oder oft sogar komplett von der Todo-Liste streichen kann („Verbesserung“). Man adaptiert seinen Alltag („Planung“) und probiert, ob es nach dem neuen Schema besser läuft („Ausführung“), bevor der Zyklus von vorne beginnt.

Stellt man sich immer wieder einmal die sieben W-Fragen, so wird man beispielsweise merken, dass kein Mensch gebügelte Unterwäsche braucht und auch Geschirrtücher nicht ganz faltenfrei genauso gut ihren Zweck erfüllen. 😉

  • Was ist zu tun?
  • Wer macht es?
  • Warum macht er es?
  • Wie wird es gemacht?
  • Wann wird es gemacht?
  • Wo soll es getan werden?
  • Wieso wird es nicht anders gemacht?

Interessant sind auch die sieben Muda (Arten der Verschwendung), die sich ebenfalls schön auf den Alltag übertragen lassen:

  • Muda durch Überproduktion: Im Grunde besagt dies nicht Anderes als das Pareto-Prinzip: 80 Prozent des gewünschten Ergebnisses sind durch 20 Prozent des Gesamtaufwands zu erzielen. Im Haushalt quasi: „Man muss nicht vom Boden essen können“ und „Wegen ein paar Pfotenabdrücken an der Fensterscheibe muss nicht das komplette Fenster geputzt werden“.
  • Muda durch Wartezeit: Erklärt sich vermutlich von selbst. Sind die Abläufe gut organisiert, so gibt es kaum „tote Zeit“ zwischen den Arbeitsschritten. Und per se „tote Zeit“, wie Wartezeit beim Arzt, Zugfahrten beim Pendeln etc., kann man perfekt für Lesen, Fortbildung und Handarbeit nutzen.
  • Muda durch überflüssigen Transport: Im Haushalt gibt’s immer irgendetwas, was von oben nach unten gehört, von draußen nach drinnen und umgekehrt. So versuche ich, auf jedem Weg, den ich sowieso gehe, das entsprechende Zeug mitzunehmen und zurück an seinen Platz zu bringen.
  • Muda durch Herstellung fehlerhafter Teile: Im übertragenen Sinn heißt der Punkt für mich, unpraktische Dinge oder auch kaputte, nicht reparierbare Werkzeuge etc. rigoros aus dem Haus zu verbannen. Diese Sachen kosten nur Platz, Zeit und viel Nerven.
  • Muda durch überhöhte Lagerhaltung: Dies hab ich mir quasi durch einen neu etablierten Minimalismus zu eigen gemacht. Viele Sachen braucht man ganz einfach nicht, muss sich aber trotzdem um sie kümmern, sie instandhalten, reinigen etc. Fazit: Weg damit. Die Reihen lichten sich – angenehm auf allen Fronten.
  • Muda durch unnötige Bewegung: Für mich heißt das, die Dinge da aufzubewahren, wo man sie letztendlich braucht bzw. wie auch im dritten Punkt Leerläufe zu vermeiden. Ein schönes Beispiel dafür kommt meines Erachtens auch aus der Permakultur: Mulchen statt Umgraben schont den Rücken, verwertet den Rasenschnitt dort, wo er anfällt, und bringt viel mehr Nutzen.
  • Muda durch ungünstigen Herstellungsprozess: Dies ist – auf den Haushalt und Alltag übertragen – im Grunde einer der wichtigsten Punkte. Unter „zusätzliche Ausstattung, die vom Kunden weder gewünscht noch gebraucht wird“ kann man durchaus verstehen, dass man die Anforderungen an sich selber einmal ein bisschen unter die Lupe nehmen sollte. Die Freunde kommen vermutlich genauso gerne zu Besuch, wenn der Kuchen einmal nicht selbstgebacken ist. Wenn’s nicht leicht geht, wozu dann der Stress? Der Bäcker um’s Eck kann das mindestens genau so gut. 😉

Weitere Checklisten und Prinzipien kann man u.a. unter dem Wikipedia-Eintrag zum Thema nachlesen. Fazit: Es lohnt sich wirklich, diese selbstverständlichen, einfachen Prinzipien einmal bewusst auf den meist unreflektiert bewältigten Alltag anzuwenden. Das erstaunliche Ergebnis, dass aus den vielen kleinen Veränderungen letztlich großartige Ergebnisse resultieren, stellt sich schon in relativ kurzer Zeit ein. Beachten sollte man allerdings, dass die Veränderungen nicht um ihrer selbst willen gemacht werden. Es geht um bewusste konstante Verbesserung, und das Schöne daran ist, dass es sich eher um eine Einstellung als um ein „Werkzeug“ handelt, die man gewinnbringend in vielen Lebensbereichen einsetzen kann.