Die 12 Rau(h)nächte

Dieses Jahr hab ich mich ein bisschen mit der „Zeit zwischen den Jahren“ beschäftigt – den 12 Rauhnächten. Sie galten in unserem Kulturkreis seit jeher als eine geheimnisvolle und magische Zeit, was sich auch teilweise im heute noch praktizierten Brauchtum widerspiegelt. Nur die dazugehörige Stille und Einkehr ist uns in den letzten Jahrzehnten in dem ganzen Weihnachts- und Konsumtrubel abhanden gekommen. Vielleicht schadet es deshalb nicht, sich bewusst ein wenig auf die alten Traditionen rückzubesinnen.

Rund um die Rauhnächte ist vieles mündlich von Generation zu Generation tradiert worden – Märchen, Regeln, Orakeln, Bräuche, die teilweise bis in die germanische Zeit zurückverfolgbar sind. Der Name selber stammt vermutlich vom mittelhochdeutschen „ruch“ ab, was soviel wie „wild“ oder „pelzig“ bedeutete – ein deutlicher Bezug zu den Perchten, die um diese Zeit immer noch zottelig und wild durch die Dörfer ziehen. Auch das ebenfalls mittelhochdeutsche Wort „rouch“ kommt als Namensgeber in Frage. Es bedeutet „rauchen“ oder „räuchern“, was wiederum ein Hinweis auf die weitverbreiteten Räucherzeremonien ist, die in den Rauhnächten praktiziert wurden und werden.

In der gängigsten Tradition spricht man bei den Rauhnächten von der Zeit zwischen Mitternacht des 25. Dezember bis zum Heilige-Drei-Könige-Tag am 6. Jänner, was 12 „heilige“ Nächte (und 11 Tage) ergibt. Sie schließen quasi die Lücke zwischen dem Sonnenjahr mit seinen 365 Tagen und dem Mondjahr, das nur 354 Tage umfasst (29 1/2 Tage mal 12). Daher auch der Name „Zeit zwischen den Jahren“ oder „fünfte Jahreszeit„.  Seit jeher galt dieser dunkle Zeitabschnitt als „durchlässig zwischen den Welten“, also der sichtbaren Erdenwelt und der unsichtbaren Geisterwelt. Und dementsprechend erzählen viele Sagen von der wilden Jagd und den Geistern, die in den Rauhnächten ihr Unwesen treiben: Der nordische Göttervater Odin (auch Wotan) macht auf seinem achtbeinigen Schimmel Sleipnir in der „wilden Jagd“ begleitet von heftigen Winterstürmen die Erde unsicher. In manchen Regionen steht auch Frau Percht, auch Berchta oder Frau Holle genannt, an der Spitze dieses furchterregenden Geisterheers.

Diese Sagen wurden früher meist von den Großmüttern erzählt und weitergegeben, wenn sich Familie und Dienstboten rund um den warmen Ofen in der Stube versammelt hatten. Vor Fernsehen und Internet waren dies sicher gemütliche Abende in einer Zeit, die witterungsbedingt naturgemäß die am wenigsten arbeitsintensive des ganzen Wirtschaftsjahres war. Den Bezug zu einem naturgegebenen Arbeitsrhythmus und damit auch zu quasi von außen auferlegten Auszeiten haben wir in unserer technisch hochgerüsteten Welt eigentlich komplett verloren. Im Grunde „geht immer alles“, was irgendwie schade ist, weil wir diese perfekten Gelegenheiten, uns einmal zu sammeln und innezuhalten damit gar nicht mehr in Betracht ziehen. Die alten (aus heutiger Sicht teilweise sicher absurden) Bräuche besagen aber im Grund nichts anderes, als einmal still zu werden, das äußere Tun einzuschränken und nach innen zu blicken: Spinnräder haben stillzustehen, Wäsche darf nicht aufgehängt werden („damit sich keine bösen Geister darin verfangen“) usw.

Viele Bräuche und Gepflogenheiten bezogen sich ganz eindeutig auf den Abschluss des alten (Jahres) und den Beginn und die Vorhersage des neuen Jahres. Schulden mussten beglichen werden, Ordnung musste ins Haus gebracht und schlechte Energie ausgeräuchert werden. Noch heute orakeln wir beispielsweise mit dem Bleigießen zu Silvester über das bevorstehende neue Jahr.

Jede Rauhnacht steht dabei in Verbindung mit dem entsprechenden Monat des anbrechenden Jahres – die erste Rauhnacht mit dem Jänner, die zweite mit dem Februar usw. Der Verlauf eines „Tages zwischen den Jahren“ wurde daher früher genau verfolgt. Alle wurden angehalten, behutsam miteinander umzugehen, sämtliche Schulden und offene Rechnungen zu begleichen, Ordnung zu halten (Weihnachtsputz!) und die Stille zu wahren: Wie der Tag, so der ganze Monat des kommenden Jahres. Es ist eine Zeit des Wandels, eine Art Übergang zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, bei der feinfühlig auch auf (besonders zwischenmenschliche) Kleinigkeiten geachtet werden sollte.

Ich finde es extrem spannend, diese Bestandteile der mitteleuropäischen Spiritualität zu recherchieren, in den richtigen Kontext zu setzen und die Essenz auf die heutige Zeit umzulegen. Östliche Spiritualität boomt geradezu, während unsere Jahrtausende alten Traditionen, die bei näherer Betrachtung sicher ebenso viel Erkenntnis bieten, immer mehr in Vergessenheit geraten. Schade eigentlich.

Ich hab mir vorgenommen, in den kommenden beiden Wochen das Tempo rauszunehmen, nach einem anstrengenden Jahr zur Ruhe zu kommen, es ehrlich zu reflektieren und mich bei vielen Dingen auch zu fragen, ob ich sie so überhaupt noch weiterführen möchte. Wieviel macht man nur aus Gewohnheit oder weil man denkt, es wird von einem erwartet, ohne dabei wirklich Freude zu empfinden oder den Nutzen zu erkennen? Ich werde eine behutsame, aber trotzdem schonungslos ehrliche Analyse wagen und die Segel ins neue Jahr entsprechend setzen. Und das ohne Wäsche am Dachboden, ohne das Spinnrad anzurühren und mit der einen oder anderen duftenden Räucherschwade im Haus. Wer weiß, wer weiß. 🙂

In diesem Sinne – Frohe Weihnachten und eine friedliche und besinnliche erste Rauhnacht!