Der Vogelknöterich

Im Zuge meiner Ausbildung zur Kräuterpädagogin werde ich auf immer mehr sehr unscheinbare, aber dennoch extrem wertvolle Pflanzen aufmerksam. So zum Beispiel auf den Vogelknöterich. Er wächst nahezu überall in unauffälligen Polstern und leidet weder unter der Trockenheit noch unter dauernder Störung durch Niedertreten oder Drüberfahren. In Wien hab ich beobachtet, dass oft komplette Grünstreifen zwischen Alleebäumen von ihm überwuchert sind. Manchmal reckt er sich sogar aus kleinen Gebäuderitzen über den Asphalt auf den Gehsteig. Was ist dran an diesem robusten Kraut, das fast niemand beachtet, obwohl er fast täglich einmal drauftritt?

Seit der Jungsteinzeit ist diese Pflanze ein Kulturbegleiter des Menschen. Junge Stängel und Blätter werden seit langem als Gemüse verwendet.

Vogelknöterich

Der Vogelknöterich (Polygonum aviculare) enthält sehr viel Kieselsäure, aber auch Flavonoide, Schleim- und Gerbstoffe. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat in ihrer Monographie die traditionelle Anwendung bei Erkältungen, Entzündungen im Mundraum und Blasenbeschwerden bestätigt. So weit, so gut.

In einigen Büchern hab ich nun weiter recherchiert und viele weitere neue Erkenntnisse gefunden (sehr empfehlenswert: Pflanzenschätze der Ahnen von Ellen Huber!). Neben den oben genannten Anwendungen wirkt die Pflanze wundheilend, antioxidativ, zusammenziehend und entzündungshemmend, zudem antiviral, antibakteriell und pilzhemmend. Sie senkt Blutdruck und Blutfette.

Die wundheilende Wirkung wird in erster Linie durch die im Vogelknöterich enthaltenen Quercetin-Verbindungen, die Kaffeesäure und das Rutin verursacht. Bei einem Screening von 50 Heilpflanzen der TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) im Hinblick auf Antioxidantien landete die Pflanze in den vordersten Rängen. Eine weitere Studie, die über 250 Pflanzen auf ihre Heilwirkung bei toxischen Nierenschäden untersucht hat, stellte fest, dass der Vogelknöterich eine Regenerationsrate von 98% bei geschädigtem Nierengewebe bewirken konnte. Auch auf die Spermienqualität dürfte das Kraut laut einer iranischen Studie eine deutlich verbessernde Wirkung haben. Methanolischer Auszug von Polygonum aviculare bewirkte zudem einen signifikaten Zelluntergang bei Brustkrebszellen, und Chloroform-Extrakte erwiesen sich als probates Mittel gegen Bakterienstämme wie Staphylococcus aureus, Escherichia coli & Co.

Unglaublich eigentlich, was diese unscheinbare Pflanze kann! Nur in der Schwangerschaft sollte man vorsichtshalber auf die Anwendung verzichten.

Ich bin eigentlich erst dieses Jahr im Garten auf dieses Kraut so richtig aufmerksam geworden. Während rundherum alles braun und ausgedörrt war, haben sich die Vogelknöterich-Polster dazwischen bester Frische und Gesundheit erfreut. Mittlerweile  wandern die Triebe mit den kleinen Blättern immer öfter in den Kochtopf, in Smoothies oder auch Salate. Sie schmecken mild salatartig. Lediglich ältere Pflanzenteile sollte man eher als Teekraut trocknen, weil sie dann doch eher faserig werden.

Wie erkennt man nun den Vogelknöterich? Die Pflanze ist sehr vielgestaltig, kann aber bei genauerem Hinsehen trotzdem nicht so leicht verwechselt werden.

Vogelknöterich Details

Die Stängel sind immer bis zur Spitze hin beblättert, die Blätter schmal-oval und nur kurz gestielt. Die kleinen Blüten sitzen zu ein bis drei in den Blattwinkeln, die Früchte sind dreikantig und oben zugespitzt.
Das eindeutigste Kennzeichen sind jedoch die auffälligen Blattscheiden, mit denen jedes Blatt am Stängel ausläuft (wie ein kleines Häutchen).

Ich komme immer mehr zu den Schluss, dass die wirklichen Stars unter den Heilpflanzen sehr stark auf „Understatement“ setzen und ganz bescheiden und genügsam vor aller Augen darauf warten, endlich wieder entdeckt und verwertet zu werden. So manche Arzneipflanzen-Diva mit maßlosen Ansprüchen an Boden und Pflege kann hier im Vergleich wirklich „einpacken“. 🙂